Sind wir bereit für Green Ticketing?
Wer Themen emotional begreifbar machen möchte, muss ihnen ein Gesicht geben sowie Prominente und Menschen des Alltags gleichermaßen einbeziehen – auch im Internet. Mit nüchternen Informationen und nackten Zahlen allein kann das nicht gelingen.
Das ist das Anliegen der nicht-kommerziellen Initiative www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de.
Neben Thomas D (Die Fantastischen Vier), Stefan Schulze-Hausmann (Deutscher Nachhaltigkeitspreis), Hannes Jaenicke (Schauspieler), Michael Otto (Otto Group), Claus Hipp (HiPP), Rolf Zuckowski (Liedermacher und Produzent) und Tobias Künzel (Die Prinzen) ist auch Stefan Lohmann mit einem Beitrag http://www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de/gesichter/stefan-lohmann aufgenommen worden. Im folgenden Interview spricht er über die zunehmende Bedeutung nachhaltiger Events und Tourneen.
Interview mit Stefan Lohmann www.stefanlohmann.com, Talent Buyer und Artist Relations Manager:
_ Herr Lohmann, wo gibt es heute positive Ansätze zu einem nachhaltigen Veranstaltungsmanagement?
Veranstaltungen wie der Deutsche Nachhaltigkeitspreis www.nachhaltigkeitspreis.de werden klimaneutral durchgeführt – das liegt auf der Hand. Mittlerweile werden aber immer mehr Veranstaltungen klimaneutral umgesetzt. Unter anderem auch der Live Entertainment Award www.lea-verleihung.de , der wichtigste Award der Live Entertainment Industrie. Das ist ein richtiges und wichtiges Signal an die gesamte Branche, denn die ist ja bekanntlich für einen großen Teil der CO2 Emissionen in Deutschland verantwortlich.
_ Welche konkreten Beispiele und Zahlen können Sie nennen?
Zum Beispiel den PRG Live Entertainment Award (LEA Award). Zur Verleihung 2016 sind etwa 1300 Gäste gekommen, fast alle aus Deutschland. Einige Redner und Künstler wurden aus England eingeflogen. Bei solch einer Award-Veranstaltung fallen ca. 250 Tonnen CO2 an.
66% der Emissionen entfallen auf die An- und Abreise der Teilnehmer und den Materialtransport. Weitere Emissionsquellen sind mit ca. 16% der Energieverbrauch, sowie die Unterbringung und Verpflegung (12,7%).
Eine Tournee mit 10 LKW Showtechnik und 4 Nightlinern (Busse in denen man in Kojen schlafen kann) mit 19 Terminen verursacht durch An- und Abreise der Band und Crew, deren Verpflegung und Unterbringung sowie dem Energieverbrauch der Veranstaltung Treibhausgasemissionen in Gesamthöhe von ca. 500-700 t CO2.
Durch die An- und Abreise der Besucher (15.000) entstehen zusätzlich im Durchschnitt Emissionen in Höhe von 500 Tonnen CO2 pro Konzert.
Die Emissionen von großen mehrtägigen Events wie der Hessentag (mehr als 1.500.000 Besucher) http://www.hessentag2016.de verursachen auch schon mal bis zu 30.000 Tonnen CO2. Die Organisatoren des diesjährigen Hessentages haben angekündigt, die Veranstaltung klimaneutral durchführen zu wollen.
Wenn man diese Zahlen hochrechnet mit den vielen tausenden von Events und Tourneen, die jedes Jahr in Deutschland durchgeführt werden, dann erahnt man wie hoch der CO2 Ausstoß dieser Branche ist.
An diesen Beispielen ist deutlich erkennbar, dass der Großteil der CO2- Emissionen auf die An- und Abreise der Zuschauer zurückzuführen ist. Dieser Verantwortung sollten sich die Besucher bewußt sein und Green Ticketing kann dafür sorgen, dass die entstanden Emissionen durch Zertifizierte Projekte neutralisiert werden. (Quelle: First Climate AG). www.firstclimate-klimaneutral.de
_ Wie wird diese Entwicklung von den Veranstaltern angenommen, und wie wird darauf reagiert?
Immer mehr Event- und Tourneeveranstalter, aber auch Künstler, stellen sich der Herausforderung, den CO2-Ausstoß reduzieren zu wollen. FKP Scorpio, einer der größten Festival-Veranstalter in Deutschland, setzt beispielsweise auf „Grün Rockt“ http://www.hurricane.de/de/infos/gruen-rockt/ – ein eigenes Projekt, bei dem es darum geht, den Müll zu reduzieren und umweltgerecht zu entsorgen sowie die Anreise umweltschonend zu planen. Es geht aber auch darum, die Festivalbesucher für den sorgsamen Umgang mit der Umwelt zu begeistern. Die Begeisterung halte ich auch für einen wichtigen Aspekt, denn erst durch die Mithilfe und die Sensibilisierung der Gäste, können die Bemühungen nachhaltigen Erfolg bringen. Allerdings ohne erhobenen Zeigefinger und schlechtes Gewissen, sondern mit Spaß und guten Ideen. Ich nutze den Begriff Ecotainment für Entertainment und Veranstaltungen mit niedrigschwelliger Sensibilisierung für das Thema der alltäglichen Umweltschonung. Mir geht es darum, dass jeder für sich seinen Anfangspunkt findet. Das können ganz einfach Dinge sein. LED Lampen nutzen oder Ökostrom beziehen etc. Es geht nicht darum perfekt zu sein und alles auf einmal umzustellen. Jeder wird seinen individuellen Mix haben. Aber anzufangen, das halte ich für wichtig. Und Green Ticketing ist eine Möglichkeit anzufangen.
_ Was sind Ihrer Meinung hier die größten Herausforderungen?
Es gibt gleichzeitig zu dieser positiven Entwicklung auch eine große Verunsicherung in der Branche in Bezug auf Umweltmanagement, konkreter Umsetzung, Zertifikate und der Kosten. Hier sind verlässliche und erfahrene Experten gefragt, denn der Druck auf Firmen, Veranstalter und die Regierung steigt. Es wurden beim Pariser Klimagipfel klare Vorgaben verabschiedet, die nun umgesetzt werden müssen. Ab 2017 müssen auch Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern entsprechende Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Die Bundesregierung hat ehrgeizige Ziele vorgegeben, die sich nur erreichen lassen, wenn sich wirklich etwas in Deutschland ändert. Weiter Ingos unter http://www.sustainable-event-solutions.de
Allerdings sind viele in der Entertainment-Branche und in der Politik davon überzeugt, dass sich der Bürger_innen bzw. Zuschauer_innen und Endkunden nicht an den Mehrkosten beteiligen wollen. Deshalb hüllen sich auch viele ins Schweigen, wenn es um dieses Thema geht.
_ Eventagenturen haben Angst, ihre Kunden mit dem Thema zu verschrecken?
Ja, weil es angeblich immer Mehrkosten bedeutet, was aber so auch nicht stimmt, denn ein gutes Umweltmanagement schließt auch Potentiale zur Effizienz und Kostenreduktion mit ein. In einem Interview mit Bezug zum Petersberger Klimadialog und Pariser Klimagipfel, habe ich gelesen, dass man annehme, dass die Politik die Bürger nicht mit alltagsnahen Klimapolitikthemen verschrecken will. Die Angst vorm „Bürger“ liegt wohl darin begründet, dass sich viele Vorhaben verzögern oder gekippt werden müssen, wenn die Klimapolitik dem „Bürger“ zu nah kommt (z.B. Stromtrassen).
_ Weshalb ist das Ihrer Meinung nach eine Fehleinschätzung?
Im Gespräch mit einem der weltweit größten Tickethändler, wurde aufgrund meiner Nachfrage zum Thema Green Ticketing festgestellt, dass bei Veranstaltungen mit entsprechendem Bezug zum Thema Umwelt (Alternative Musikfestivals, ElectroFestival, Bio-Messen etc.) die Zusatzkosten für die Beteiligung an den Kosten der CO2-Reduzierung immer freiwillig und zusätzlich gezahlt wurden. Daraufhin wurde vom Ticketdienstleister beschlossen, sich dem Thema Green Ticketing gemeinsam intensiver zu widmen.
_ Sind die „Bürger_innen“ also bereit, sich an der Reduzierung der CO2- Emissionen zu beteiligen und für ihre eignen CO2-Emissionen selbst die Verantwortung zu übernehmen?
Eindeutig ja. Denn anders als bei der Stromtrassen-Diskussion geht es beim Green Ticketing um sehr überschaubare einstellige Eurobeträge pro Veranstaltung und pro Person. Allerdings funktioniert das nur, wenn es auf einfache und verständliche Weise kommuniziert wird, und die Abwicklung unkompliziert ist bzw. im Bestellprozess oder im Endpreis inbegriffen ist: Click & Go.
Da erfahrungsgemäß der größte Teil der Emissionen von Veranstaltungen durch die An- und Abreise der Teilnehmer verursacht werden, liegen auch hier die größten Reduktionspotentiale.
_ Was gehört für Sie noch zu einem professionellen Umweltmanagement?
Die richtige Auswahl der Location mit guter Anbindung öffentlicher Verkehrsmittel, Kooperationen mit der Deutschen Bahn für Veranstaltungstickets, Kooperation mit Hybrid-, Biogas-, E-Taxi-Service, sichere ausreichende Stellplätze für Fahrräder etc. gehören genauso dazu wie die Betrachtung der Logistik, Optimierung der Technik, Berücksichtigung des Stromverbrauches, Biostrom-Lieferanten, lokales Catering, Hotel, Merchandising und vieles mehr. Die Kompensation der unvermeidbaren Emissionen eines Events durch zertifizierte Projekte sorgt für die letztendliche Klimaneutralstellung der Veranstaltung.
Weitere Infomationen zur CO2 Reduktion und Klimaneutralen Veranstaltungen unter: http://www.firstclimate-klimaneutral.de/
Dass die Regierung die Industrie auffordert und verpflichtet, sich nachhaltig für den Umweltschutz zu engagieren, ist meiner Meinung nach richtig und im Hinblick auf die Zielvorgaben auch unerlässlich. Die Event Industrie muss sich den Herausforderungen stellen, und ich bin sicher, dass die Bevölkerung bereit ist ihre eigene Verantwortung für den Umweltschutz zu übernehmen.
Umweltmanagement für Veranstaltungen und Tourneen wird Standard werden. Das ist nicht mehr aufzuhalten. Ähnlich wie mit dem Rauchverbot in geschlossenen Räumen, wird man wird sich irgendwann fragen, warum es das nicht schon immer gab.
_ Welche Verantwortung sehen Sie bei Politik?
Gerade wenn es darum geht die Bevölkerung mit einzubinden, bedarf es einer klaren Zielausrichtung und einer verständlichen Kommunikation für eine gemeinschaftliche Vision davon, wie wir leben wollen. Umweltschutz und ist vielleicht sogar eine mögliche Antwort auf die vielen Probleme in den benachteiligten Ländern außerhalb der EU. Ich denke der Aktive Umweltschutz und eine nachhaltige Lebensweise, wäre eine große Chance für die EU ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Es wäre ein verbindendes Lebensgefühl mit gleichzeitiger Verantwortung auch für die Länder außerhalb der EU, die ja stabilisiert werden sollen. Denn die konkrete Umsetzung der Klimaneutralstellung durch zertifizierte Projekte ist besonders effizient in Ländern mit niedrigeren Umweltstandards und einer anderen Kostenstruktur als in der EU. Emissionsminderungen sind dort günstiger umzusetzen und damit kann für das gleiche Geld mehr erreicht werden. Das bietet die Chance neue zertifizierte Projekte in Ländern zu integrieren, die gerade besonders notleiden. Denn die CO2-Minderungs-Projekte sorgen nicht nur für eine aktive Reduzierung von CO2 Emissionen, sondern sorgen auch für Arbeitsplätze, für die Verbesserung der Lebensbedingungen, für Aufforstung und Erhalt von Pflanzenbestand und vieles mehr.
Eine nachhaltige Wirtschaft und Lebensweise aller EU Länder beinhaltet für mich neben dem Umweltschutz auch die soziale Komponente. Als erfolgreiche Industrienationen haben wir eine besondere Verantwortung den anderen Ländern gegenüber.
Zero CO2 für Industriestaaten ist eine große Herausforderung, die wir annehmen sollten. Zero CO2 @Home für Privatpersonen kann man und sollte man nicht erzwingen, aber es könnte ein Beitrag für ein friedliches Zusammenleben innerhalb und außerhalb der EU sein. Green Ticketing ist das ein Weg in die richtige Richtung.
Zur Person:
Stefan Lohmann, Jahrgang 1973, geboren in Xanten in NRW, ist ein Hamburger Talent Buyer und Artist Relations Manager. Er erstellt Live Entertainment Konzepte für Veranstaltungen jeder Größenordnung und Ausrichtung. Nach über zehn Jahren Tätigkeit als international tätiger Verkäufer von Live Entertainment wechselte Stefan Lohmann 2014 auf Kundenseite und stellt seitdem seine Erfahrung, Insiderwissen, Kontakte und Verhandlungsgeschick seinen Kunden als Einkäufer und Artists Relations Manager zur Verfügung.
Er arbeitet vollkommen transparent und auf partnerschaftlicher Basis. Seitdem betreut er u.a. den Deutschen Nachhaltigkeitspreis, die ZDF-Sendung „Silvester am Brandenburger Tor“, Tag der Deutschen Einheit sowie Firmen und Kulturveranstaltungen.
2015 gründete er das nachhaltig agierende Berlin Show Orchestra. 2016 folgte die Gründung des Sustainable Event Solutions-Netzwerks, das einen ganzheitlichen Ansatz für die Beratung und Durchführung von nachhaltigen und klimaneutralen Veranstaltungen bietet. Stefan Lohmann ist Mitglied im Verein Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V.
Weitere Informationen:
www.sustainable-event-solutions.de
Vielen Dank an Frau Dr. Alexandra Hildebrandt: http://www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de/gesichter/alexandra-hildebrandt
Hier geht es zum Artikel in der Huffington Post:
http://www.huffingtonpost.de/alexandra-hildebrandt/bereit-fuer-green-ticketing_b_10926240.html
Green Ticketing Links:
Facebook Gruppe Live Entertainment News
Linkedin Gruppe Live Entertainment News
Weitere interessante Artikel:
Künstlervermittlung Tipps im Event Partner Magazin
Was macht ein Artist Relations Manager anders ?
Was macht ein Talent Buyer anders ?
Mehr über Nachhaltigkeit, Sustainability Firmenphilosphie von Stefan Lohmann